Warum Digitalisierungsprojekte scheitern: Die fünf blinden Flecken, über die keiner reden will
Seit Jahren immer wieder das gleiche Muster: Unternehmen starten Digitalisierungsprojekte mit großen Ambitionen – und landen dann in einer Mischung aus Frust, Politik und endlosen Workarounds.
Die Zahlen sind erschreckend, und nicht überraschend: 65 bis 85 Prozent der Projekte scheitern. Ja, das ist die Realität.
Nur warum?
Wenn man ehrlich ist, ist die Antwort weder besonders glamourös noch besonders komplex. Wir übersehen systematisch fünf Bereiche, die jedes Digitalisierungsprojekt entscheiden. Und keiner davon ist ein neues Tool.
Im Podcast bin ich die fünf Dimensionen durchgegangen. Hier möchte ich sie etwas tiefer aufmachen.
1. Menschen und Kultur – der unterschätzte Risikofaktor
Ich habe selten erlebt, dass Technologie der Showstopper war.
Menschen dagegen ständig.
Und das hat nichts mit „Widerstand gegen Neues“ zu tun.
Sondern mit blinden Flecken im System:
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Die Teams haben keine Zeit, sich auf Neues einzulassen.
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Es gibt keine offene Fehlerkultur.
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Fragen gelten als Schwäche, nicht als gesunder Reflex.
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Misstrauen ersetzt Neugier.
Kein Wunder, dass sich Silos bilden. Die Leute wollen sich schützen, nicht sabotieren.
Wenn diese Dimension ignoriert wird, kann die Technik noch so modern sein – sie wird nicht genutzt oder sie wird missbraucht.
2. Prozesse und Daten – schneller Crap bleibt Crap
Einer meiner Lieblingssprüche aus der Folge:
„Viele Unternehmen digitalisieren ihre ineffizienten analogen Prozesse – und machen daraus schnellen Crap.“
Es klingt hart. Aber es stimmt.
Wenn man seine echten Prozesse nicht kennt, digitalisiert man Chaos.
Und dann kommen die klassischen Symptome:
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Mehr Workarounds
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Mehr Stress
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Höhere Fehlerquoten
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Und irgendwann der Satz: „Das System ist schuld.“
Nein, ist es nicht.
Wir waren es.
Wer Daten nicht versteht, Prioritäten nicht kennt und nicht weiß, wo Risiken liegen, baut keine Digitalisierung – er baut digitale Beschleunigung des Problems.
3. Technologie und Architektur – die ungeliebte Fundamentarbeit
Viele Unternehmen haben alte Kernsysteme, an die keiner ran will.
Verstehe ich. Es ist komplex, teuer und politisch.
Das Problem:
Wenn wir um diese Altlasten herum digitalisieren, entsteht ein Frankenstein-System.
Jede neue Lösung muss Rücksicht auf den Dinosaurier nehmen.
Innovation wird zur Flickschusterei.
Digitalisierung ohne stabile Architektur ist wie Energiesparen durch neue Fenster, obwohl das Dach fehlt.
Es fühlt sich gut an – bringt aber nichts.
4. Ausführung – Kickoff stark, Betrieb vergessen
Die meisten Projekte starten mit Energie.
Kickoff, Vision, Workshops.
Und dann?
Dann wird es still.
Zwei typische Fehler tauchen immer wieder auf:
1. Keine Ressourcen
Die Leute sollen digitalisieren, aber gleichzeitig ihren alten Job zu 100 Prozent weiter tun.
Das geht nicht. Punkt.
2. Betrieb wird nicht eingeplant
Nach dem Go-Live stellt man plötzlich fest, dass Stammdaten gepflegt werden müssen.
Dass User Support notwendig ist.
Dass Systeme betrieben werden müssen.
Und dann wird es teuer.
Oder das System stirbt stillschweigend.
5. Führung und Verantwortung – ohne Klarheit entsteht Politik
Der fünfte Punkt ist die Klammer über allem.
Ohne klare Prioritäten und ohne echte Verantwortlichkeit entsteht Chaos.
Typische Symptome:
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Teams wissen nicht, was sie eigentlich erreichen sollen.
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Entscheidungen werden vertagt, verwässert oder delegiert.
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Bereiche konkurrieren statt zu kooperieren.
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Menschen sichern sich ab statt Verantwortung zu übernehmen.
Ich sehe selten böswillige Führung.
Ich sehe aber oft unklare Führung.
Und Unklarheit ist der natürliche Feind jeder Veränderung.
Was heißt das für die Praxis?
Digitalisierung scheitert nicht an Technologie.
Sie scheitert an fehlender Klarheit, fehlendem Mut und fehlendem Verständnis für die Komplexität des Systems.
Wer digitale Transformation ernst meint, muss bereit sein:
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Menschen einzubinden
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Prozesse radikal zu hinterfragen
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Architektur ehrlich zu prüfen
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Ressourcen bereitzustellen
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Verantwortung zu klären
Alles andere ist Kosmetik.
Video zur Podcastfolge
Hier kannst du die komplette Folge anschauen und anhören:
