Es gibt Momente, in denen ich während eines Gesprächs innerlich einmal komplett die Perspektive wechsle.
Das Gespräch mit Michael Pfeil vom Uniklinikum Bonn war so ein Moment.
Ich komme aus der Life-Science-Industrie. Dort ist Regulierung Alltag, Datenqualität eine Frage von GMP und Good Practice. Komplex? Klar. Nervig? Manchmal. Aber dann hörst du jemandem wie Michael zu – und dir wird klar, dass Kliniken im digitalen Umfeld auf einem ganz anderen Schwierigkeitsgrad spielen.
Wenn in der Pharma ein System ausfällt, ist das schlecht. Wenn im Klinikum ein System ausfällt, kann das Leben kosten.
Das ist kein Buzzword. Das ist Realität.
Kliniken müssen gleichzeitig:
Patientendaten schützen
Kritis-Auflagen erfüllen
SAP-Landschaften modernisieren
Cloud-Strategien bewerten
Behörden, Personalräte und Datenschutz sauber durchsteuern
Und das alles während der laufende Betrieb weiterläuft. Keine Pausen. Keine Testumgebung fürs echte Leben.
Michael sagt an einer Stelle sinngemäß:
Wir bewegen uns in einem maximalen Technologie-Change – und haben gleichzeitig die schlechtesten Rahmenbedingungen, um ihn umzusetzen.
Klingt frustrierend. Ist aber ehrlich.
Viele klinische Einrichtungen haben jahrelang reflexartig gesagt: Cloud geht bei uns nicht.
Aus Datenschutzgründen. Aus Angst. Aus Gewohnheit.
Michael nennt das „Tal der Tränen“, durch das man trotzdem durch muss.
Denn Fakt ist:
Die neuen SAP-Produkte sind cloud-first.
Innovationen passieren in der Cloud.
Regulatorik hat inzwischen Regeln geschaffen (C5, ISO, EU-Hosting), die den Weg freimachen.
Die spannende Aussage für mich:
Nicht die Technologie ist das Problem – sondern die Angst, sich mit den Grundlagen auseinanderzusetzen.
Welche Daten dürfen wohin?
Welche Systeme müssen on-prem bleiben?
Welche Prozesse müssen vorher bereinigt werden?
Was mich fasziniert hat: Bonn hostet Daten souverän, verteilt über europäische Rechenzentren, sauber zertifiziert – und nutzt Cloud dort, wo es Sinn ergibt. Ein erwachsener, reflektierter Ansatz. Kein Dogma, kein Hype.
Das ist die Stelle im Transcript, bei der bei mir alle Glocken angingen.
Michael beschreibt, wie sie ein Jahr lang Workshops mit allen Bereichen gemacht haben.
Nicht nur IT, nicht nur Einkauf, nicht nur Pflege.
Alle. Interdisziplinär.
Erstmal die Frage:
Was wollt ihr eigentlich erreichen?
Erstaunlicherweise konnten viele das nicht einmal sauber formulieren.
Und trotzdem ist genau das der Punkt, an dem Digitalisierung steht oder fällt.
Wer Prozesse nicht versteht, kann sie nicht verändern.
Wer den Ist-Zustand nicht kennt, kann keinen Soll-Zustand gestalten.
Wer die Menschen ignoriert, landet bei „Shit in, Shit out“ – nur schneller, dank Cloud und KI.
Und der vielleicht wichtigste Satz im ganzen Gespräch:
IT ist Sparringspartner – nicht Herrscher über Tools.
Damit steht und fällt alles.
Ich liebe diesen Abschnitt, weil er zeigt, wie viel Mythos rund um Daten heute herrscht.
Viele Unternehmen glauben:
Wir kaufen ein Data Warehouse. Dann machen wir KI. Dann wird alles gut.
Falsch.
Michael beschreibt das Gegenteil:
Erst die Erkenntnis, dass alle dieselbe Datenbasis brauchen
Dann ein Data Warehouse, das alle Systeme speist
Dann klare Standards für Berichte
Dann Self-Service, aber nur für das, was sinnvoll ist
Dann – und erst dann – Predictive Analytics
Der entscheidende Satz von ihm:
KI ohne saubere Basis führt nicht zu Shit out, sondern zu Bullshit out.
Und ich kann das komplett unterschreiben.
Wer glaubt, Digitalisierung sei „zu komplex“, „zu riskant“ oder „zu teuer“, sollte sich ansehen, wie Kliniken das angehen.
Wenn ein Maximalversorger wie Bonn:
hunderte Systeme mappt
Prozesse kollektiv neu definiert
Data Warehousing vollständig zentralisiert
Cloud souverän nutzt
Change wirklich lebt
…dann hat niemand in der Industrie das Recht, sich hinter Ausreden zu verstecken.
Nicht mit dem Personal.
Nicht mit der Regulierung.
Nicht mit dem Budget.
Transformation scheitert selten an Technik.
Fast immer scheitert sie an fehlender Ehrlichkeit.
Habe ich den Mut, den Ist-Zustand auszuhalten?
Habe ich das Commitment, Dinge abzusägen, die seit 20 Jahren niemand mehr hinterfragt hat?
Und bin ich selbst bereit, mich zu verändern – als Führungskraft, als Entscheider, als Organisation?
Michael formuliert es viel entspannter:
Manchmal muss man erst bremsen, bevor man sinnvoll beschleunigen kann.
Das sollte man auf jedes Transformationsprojekt vorne drauf tätowieren.
Wenn du tiefer einsteigen willst und hören möchtest, wie jemand im echten Leben durch regulierte, hochkomplexe Infrastruktur navigiert, dann schau dir die Folge an.
Ich verspreche: Da steckt mehr Realität drin als in vielen Digitalisierungsstrategien auf PowerPoint.
👉 Hier geht’s zur Podcast-Folge: https://open.spotify.com/episode/577xvdX37GCo7plrTt07Ts?si=LAQp9SmMTjW435bA4qZV6w